Der Deal mit dem Dreck

Kohlekraftwerk bei Neuss. Foto: Holger Eilhard Lizenz: CC-BY-NC-SA Original: Flickr

12. Juli 2012
Tilman Santarius und Wolfgang Sterk
Bei kaum einem Instrument der Umweltpolitik gehen die Meinungen so stark auseinander wie beim Emissionshandel. Von manchen wird er als Königsweg zur Bekämpfung des Klimawandels betrachtet. Andere sehen ihn als Ausdruck dessen, dass der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben werden soll. Schließlich könne dieses marktwirtschaftliche Instrument nicht den «Klimawandel als das größte Marktversagen der Geschichte» (Sir Nicholas Stern) lösen. Doch ob es auch Farben und Grautöne jenseits der Schwarz-Weiß-Malerei gibt, hängt nicht nur von der Perspektive ab, mit der das Instrument des Emissionshandels beleuchtet wird, sondern auch davon, wie hell die Köpfe sind, die ihn konkret umsetzen.
 
Der Emissionshandel wurde mit dem Kyoto-Protokoll 1997 auf internationaler Ebene beschlossen und 2005 in der Europäischen Union als unternehmensbasierter Handel eingeführt. Die Befürworter feiern diese beiden Daten als Meilensteine im Klimaschutz. Sie heben hervor, dass mit dem Emissionshandel eine absolute Grenze auf den Ausstoß von Treibhausgasen gesetzt wird; dies biete die Chance, ökologische Ziele treffsicher zu erreichen. Seien die Emissionen einmal gedeckelt, wird Ländern, Unternehmen oder Kommunen größtmögliche Flexibilität überlassen, wie sie die Grenze einhalten; das umgehe bürokratische Top-down- und pauschale One-size-fits-all-Lösungen. 

Kann eine schlechte Sache ein «Gut» sein? 

Die Gegner des Emissionshandels kritisieren zum einen, dass es widersinnig sei, eine an sich schlechte Sache – die Luftverschmutzung durch Treibhausgase – in ein handelbares « Gut » umzuwandeln. Sobald Länder oder Unternehmen ein Emissionszertifikat erhielten, würden sie praktisch ein «Recht auf Treibhausgasemissionen» eingeräumt bekommen. Es könne aber kein Recht darauf geben, das Klimasystem der Erde zu stören. Diese zunächst einleuchtend klingende Argumentation unterschlägt allerdings, dass Unternehmen bereits vor Einführung eines Emissionshandels bereits ein Quasirecht, mithin ein Gewohnheitsrecht, genießen, zu emittieren. 

Genau deswegen haben Juristen und Ökonomen über Jahre debattiert, ob ein Emissionshandel überhaupt verfassungskonform sei, da er Gewohnheitsrecht aushebele und abrupt die rechtlichen Rahmenbedingungen ändere – ganz so, «als würden Grundstücke (und nur diese) meistbietend versteigert, auf denen bereits Eigenheime stehen». Da nach Einführung des Emissionshandels niemand mehr emittieren darf, der kein Zertifikat vorweisen kann, ermöglicht die Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen es dem Staat sogar, Unternehmen die Fortsetzung der Produktion zu untersagen. Das Argument, ein Emissionshandel verbessere die rechtlichen Rahmenbedingungen eines ausbeuterischen Kapitalismus, erscheint daher wenig schlüssig. 


Das Geschäft mit dem Klimaschutz 

Die Gegner kritisieren zum anderen, dass sich rund um den Handel mit Zertifikaten ein ganz neuer Markt entwickle, der mit Klimaschutz Profit machen möchte. Tatsächlich haben sich seit Einführung des Emissionshandels zahlreiche Start-ups, Agenturen und Beratungsdienste gebildet – Entwickler von Klimaschutzprojekten, Zertifizierer, Börsenhändler und Spekulanten –, die allesamt am Geschäft des Emissionshandels verdienen und die allesamt ihren Verdienst erneut in den Kreislauf von Produktion und Konsum einspeisen. Das Ziel, die Treibhausgase tatsächlich zu reduzieren, kann durch solche Rückkoppelungseffekte (« Rebound-Effekte ») konterkariert werden. 

Wie sehr die Einführung eines Emissionshandels tatsächlich zur « Dekarbonisierung » der Wirtschaft beitragen kann, hängt wesentlich davon ab, wie er konkret ausgestaltet wird. Dabei muss zwischen dem internationalen, zwischenstaatlichen Emissionshandel des Kyoto-Protokolls und dem unternehmensbasierten Emissionshandel der EU unterschieden werden: Beim zwischenstaatlichen Emissionshandel sind Regierungen Handelspartner. Aber selten wer- den Regierungen in einem transparenten, offenen Handel miteinander ins Geschäft kommen, in dem die Effizienz der Märkte zur Geltung kommt, sondern in verschlossenen Hinterzimmern. So beispielsweise, als Japan vor einigen Jahren im großen Stil Emissionszertifikate aus der Ukraine kaufte. Die japanische Regierung hatte es vorgezogen, sich von einem Teil ihrer Klimaschutzverpflichtungen durch überschüssige Zertifikate aus Osteuropa freizukaufen, anstatt im eigenen Land strengere Politiken einzuführen. So tauscht der zwischenstaatliche Emissionshandel letztlich das Marktversagen gegen ein Staatsversagen aus. 

Das Kyoto-Protokoll sieht auch den projektbasierten Handel von Zertifikaten (Clean Development Mechanism; CDM) vor. Allerdings wird dabei nicht mit einer festgelegten Menge von Zertifikaten gehandelt, sondern für die jeweiligen Projekte werden neue Zertifikate ausgestellt. Hierfür werden die tatsächlichen Emissionen eines CDM-Projekts mit einer hypothetischen Referenzsituation verglichen, die prognostiziert, was passiert wäre, wenn es den finanziellen Anreiz der CDM-Zertifikate nicht gegeben hätte. Etwa: Wie viel Emissionen mehr wären angefallen, wenn statt der Windräder aus dem CDM- Projekt ein neues Kohlekraftwerke gebaut worden wäre? Allerdings ist dieser hypothetische Vergleich mit großen Unsicherheiten verbunden. Zahlreiche Studien legen nahe, dass viele CDM-Projekte auch ohne den Anreiz der Zertifikate realisiert worden wären. In diesen Fällen sticht die Finanzialisierung der Natur den Schutz der Natur. 

Staatsversagen, Marktversagen 

Der theoretische Vorteil der «ökologischen Treffsicherheit» des absoluten Emissionsziels, den Befürworter hervorheben, krankt in der Praxis oft am mangelnden politischen Willen der Regierungen, wirklich einschneidende Emissionsgrenzen zu setzen. Im Kyoto-Protokoll wurden den mittel- und osteuropäischen Transformationsstaaten erhebliche Mengen an überschüssigen Emissionsrechten zugestanden, um ihre Zustimmung zum Protokoll zu erwirken. Auch im EU-Emissionshandel gab es in sechs der sieben Jahre seines Bestehens bisher einen Überschuss an Zertifikaten. Im Ergebnis ging der Preis der Zertifikate bereits gegen Ende der ersten Handelsperiode im Jahr 2007 gegen Null. 

Trotzdem hätten die Regierungen die Unternehmen für die zweite Handelsperiode 2008 bis 2012 erneut großzügig mit Zertifikaten ausgestattet, wenn nicht die europäische Kommission eingeschritten wäre und scharfe Einschnitte verordnet hätte. Im Jahr 2008 waren die Zertifikate zum ersten Mal wirklich knapp und ihr Preis kletterte vorübergehend auf um die 30 Euro: ein echtes Druckmittel für die Wirtschaft, tatsächlich in die Dekarboniserung zu investieren. 

Mit der Finanzkrise zeigte sich eine weitere Achillesferse des Instruments. In jedem Markt reagieren Angebot und Nachfrage aufeinander, im EU-Emissionshandel ist das Angebot an Zertifikaten statisch festgelegt. Als mit der Finanzkrise die wirtschaftliche Produktion zurückging, brach auch die Nachfrage nach Zertifikaten ein. Es kam erneut zu Angebotsüberschuss und Preisverfall. Der Ausbau der erneuerbaren Energien hatte sich außerdem deutlich schneller entwickelt; selbst in Deutschland fielen die Emissionen im Jahr 2011 trotz starken Wirtschaftswachstums und Atomausstieg um 1 Prozent im Vergleich zum Jahr 2010. Wieder brach der Zertifikatspreis ein und beträgt derzeit nur noch rund 5 Euro je Tonne CO2. 

Subventionsmaschine in Milliardenhöhe 

Ein weiteres Problem ist, dass bisher die Zertifikate größtenteils kostenlos ausgegeben worden sind. Wie im Kyoto-Protokoll war hier das Kalkül, die Verschmutzer nur durch Zugeständnisse mit ins Boot holen zu können. Allerdings preisen die Unternehmen den Wert der Zertifikate in ihre Produkte ein. Betriebswirtschaftlich ist dies auch korrekt, denn anstatt Güter zu produzieren und damit die Zertifikate zu «gebrauchen», könnten sie die Zertifikate ja auch verkaufen. Der Eigengebrauch der Zertifikate – ihre Vorlage beim Emissionsregister zur Legitimierung der erzeugten Emissionen – geht also mit so genannten Opportunitätskosten für die Unternehmen einher, die sie in ihrer Bilanz berücksichtigen müssen. 

Allerdings erzielen die Unternehmen damit ein Einkommen in Milliardenhöhe, für das sie keine Leistung erbracht haben und mit dem sie wiederum verstärkt investieren und den Wirtschaftskreislauf anheizen können. Hier haben sich die Regierungen allerdings als lernfähig erwiesen: Von 2013 an wird die Mehrheit der Zertifikate versteigert, und dieser Anteil soll bis 2020 auf nahezu 100 Prozent anwachsen. Immerhin werden dann jedenfalls die Unternehmen am Emissionshandel nicht mehr verdienen. 

Die derzeitigen Emissionshandelssysteme sind sicher noch nicht der Königsweg zur Lösung der Klimakrise. Ebenso wenig aber sind sie als Motor des weiteren ausbeuterischen Kapitalismus zu verteufeln. Das pauschale Argument wider die Inwertsetzung beziehungsweise Finanzialisierung der Natur löst sich auf im konkreten politischen Machtkampf um die richtigen Maßnahmen gegen den Klimawandel und ihre konkrete Umsetzung. Egal, ob martkwirtschaftlicher Emissionshandel auf der einen Seite oder interventionistische Ge- und Verbote auf der anderen: Zivilgesellschaftliche Akteure werden fortwährend dafür kämpfen müssen, dass der Klimaschutz nicht den Interessen des Kommerz unterliegt. - 

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Tilman Santarius ist Vorstandsmitglied bei Germanwatch e.V. Von 2001 bis 2009 hat er am Wuppertal Institut geforscht, von 2009 bis 2011 die Klimaarbeit bei der Heinrich-Böll-Stiftung geleitet. Er ist Ko-Autor mehrerer Bücher und hat zahlreiche Artikel zu den Themen Klimapolitik, Handelspolitik, Globalisierung und Gerechtigkeit publiziert, die auf der Webseite www.santarius.de abrufbar sind. 

Wolfgang Sterk ist seit 2002 am Wuppertal Institut tätig. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt auf dem Design des zukünftigen internationalen Klimaregimes, der Entwicklung marktbasierter Klimapolitikinstrumente, insbesondere der flexiblen Mechanismen des Kyoto-Protokolls und des EU-Emissionshandels sowie national angemessener Minderungsmaßnahmen der Entwicklungsländer (NAMAs). 

Zeitschrift

Böll Thema 1/ 2012: Grüne Ökonomie – Was uns die Natur wert ist

Dieser Text erschien in Böll.Thema. Diese Ausgabe von Böll.Thema nimmt einen wichtigen und besonders umstrittenen Aspekt der Grünen Ökonomie unter die Lupe: die ökonomische Bewertung von Natur. Schützen wir sie, indem wir ihr einen monetären Wert geben? Welche marktbasierten Ansätze und Instrumente sind sinnvoll und welche nicht? Und wer ist in die Entscheidungen im Natur- und Ökosystemschutz eingebunden?

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